Zeugungsunfähigkeit bei Männern – warum ich nicht allein bin
Immer mehr Männer sind von Zeugungsunfähigkeit betroffen, aber niemand spricht darüber. Der selbst betroffene Autor und Wissenschaftsjournalist Benedikt Schwan bricht dieses Tabu – im Heyne-Buch „Ohnekind“. Benedikt macht das, weil er einen Appell an alle Verantwortlichen hat: Die Politik muss gegen männliche Unfruchtbarkeit, die sich längst zur Pandemie ausgewachsen hat, endlich etwas tun.
Ein Gastbeitrag von Benedikt Schwan (Teil 2 von 3)
Teil 1: Männliche Unfruchtbarkeit “Alles fühlt sich taub an.”
Zeugungsunfähigkeit betrifft viele Männer
Zeugungsunfähigkeit ist in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabu. Männer reden extrem ungern darüber. Das ist auch deshalb merkwürdig, weil es so viele Männer betrifft. Wäre das Wissen darum verbreiteter, hätte auch ich mich vielleicht früher um Nachwuchs gekümmert oder zumindest mein Sperma in jüngeren Jahren analysieren lassen. Es wäre allen zu raten.
In der reproduktionsmedizinischen Debatte bleiben Männer aber nahezu unsichtbar. Das liegt vor allem daran, dass kaum geforscht wird. Wir brauchen mehr Monitoring, mehr Daten, um abschätzen zu können, wie groß Fertilitätsprobleme unter Männern tatsächlich sind.
Dass ich mit dem Thema an die Öffentlichkeit gehe, liegt daran, dass ich durch die Recherchen für mein Buch „Ohnekind“ (Heyne) festgestellt habe, dass Sterilität so viele Männer betrifft. Es ist ein Weltproblem, eine Pandemie. Ohne dass die WHO es dazu erklärt hätte.
Die Spermienqualität hat in vielen Ländern um die Hälfte abgenommen
Immer mehr Männer sind betroffen und die Spermienqualität und ‑anzahl hat innerhalb der letzten Jahrzehnte in vielen Ländern um mehr als die Hälfte abgenommen. Das ist eine buchstäblich existenzielle Sache. Wie vielen Verantwortlichen ist das bewusst? Warum wird nichts dagegen getan?
Woher kommen diese Zahlen? In Israel habe ich mit einem Epidemiologen gesprochen, der die weltweit größte Meta-Studie zu Samenqualität bei Männern durchgeführt hat. Dr. Hagai Levine ist Leiter des Bereichs für Umweltgesundheit an der Hebrew University of Jerusalem und anerkannter Experte. Das Ergebnis seiner Studie, die im wissenschaftlichen Journal Human Reproduction Update vorgestellt wurde (»Temporal trends in sperm count: a systematic review and meta-regression analysis«), stuften die Forscher als »erschreckend« ein.
Die Reduktion der Zeugungsfähigkeit sei weiter fortgeschritten, als sie erwartet hätten. Demnach fiel die Spermienkonzentration in den achtunddreißig Jahren des Untersuchungszeitraums um durchschnittlich 1,4 Prozent pro Jahr. Insgesamt ging die Konzentration um mehr als 52 Prozent zurück – von neunundneunzig Millionen Samenzellen pro Milliliter Ejakulat 1973 auf 47,1 Millionen pro Milliliter 2011. Auch der sogenannte Sperm Count selbst fiel rasant – und zwar um fast 60 Prozent.
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Die Zeugung wird schwerer, wenn die Spermienqualität abnimmt
All das bedeutet nicht, dass betroffene Männer grundsätzlich keine Kinder mehr bekommen können. Die Zeugung wird aber schwerer, wenn die Spermienkonzentration abnimmt, und es braucht gegebenenfalls mehrere Anläufe, bis es mit einer Schwangerschaft klappt. Die gesamte menschliche Reproduktion, so kinderleicht sie eigentlich funktionieren sollte, gerät dadurch aus dem Takt.
Levines Studie umfasst insgesamt 43 000 Männer. Man muss ihm und seinen Kollegen diese komplexe und anstrengende Vorgehensweise hoch anrechnen – allein die Bibliotheksrecherche muss ein »Alice im Wunderland«-artiger Irrgartenlauf gewesen sein.
Im Gespräch mit der britischen BBC sagte Levine bei Erscheinen der Untersuchung, besonders überrascht habe ihn, dass der Rückgang der Spermienkonzentration sich offenbar weiterhin fortsetze. Studien nach 1995 zeigten sogar eine noch stärkere Abnahme. »Das ist kein Problem der Vergangenheit, das ist ein Problem der Zukunft.«
Forschung über männliche Sterilität muss daher ausreichend mit finanziellen Mitteln ausgestattet sein. Sie muss in der Politik und in der Gesellschaft offen diskutiert werden. Derzeit machen wir uns noch nicht klar, vor welchem Problem wir (und vor allem künftige Generationen) stehen. Es besteht die reale Chance, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft die natürliche Möglichkeit der Fortpflanzung verlieren, wenn wir nicht aufpassen. Worüber jetzt nur vereinzelte Menschen klagen, wird dann zum Alltagsproblem.
Und das Schlimme: Wir haben noch keinerlei Ahnung, woran das überhaupt liegt. Studien dazu stehen noch ganz am Anfang und kommen nicht vom Fleck – auch weil die Politik die Notwendigkeit nicht zu sehen scheint. Es könnten ebenso Umweltaspekte sein wie Stress, genetische Veränderungen und vieles mehr. Wir müssen endlich etwas tun.
Fortsetzung folgt im dritten Teil des Gastbeitrags.
Ein Buch über das Leben mit männlicher Unfruchtbarkeit
Immer mehr Männer können keine Kinder zeugen, doch kaum einer spricht darüber. Der Journalist Benedikt Schwan ist 41, als er feststellt, dass er unfruchtbar ist. Mit ungewöhnlich großer Offenheit schildert er, was der unerfüllte Kinderwunsch für ihn, seine Männlichkeit und seine Beziehung bedeutet. Die Auseinandersetzung mit der Diagnose Unfruchtbarkeit bringt Schwan an seine emotionalen Grenzen.
- Schwan, Benedikt(Autor)
Über den Autor — Benedikt Schwan
Benedikt Schwan, Jahrgang 1975, schreibt als Journalist seit über 20 Jahren über Technologie, Wissenschaft, Forschung und Medien. Seine Texte sind u.a. in »Zeit Online«, »Focus«, »Die Welt« und »Spiegel Online« erschienen.
Bildquellen:
Titelbild: Benedikt Schwan
Young adult couple lying on bed © Canva
Man Holding in Hands Container With Sperm © Canva
Ich bin Claudia. Kinderwunsch-Bloggerin mit über 10 Jahren eigener Kinderwunsch-Erfahrung: Endometriose-Fighterin, IVF-Kennerin, ICSI-Schwester, Pimp my Eggs Befürworterin und Initiatorin der Kinderwunsch-Bewegung #1von7
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