Männ­li­che Unfrucht­bar­keit: „Alles fühlt sich taub an“



Ohne Kind

Immer mehr Män­ner sind zeu­gungs­un­fä­hig, aber nie­mand spricht dar­über. Der selbst betrof­fe­ne Autor und Wis­sen­schafts­jour­na­list Bene­dikt Schwan bricht die­ses Tabu – im Hey­ne-Buch „Ohne­kind“. Bene­dikt macht das, weil er einen Appell an alle Ver­ant­wort­li­chen hat: Die Poli­tik muss gegen männ­li­che Unfrucht­bar­keit, die sich längst zur Pan­de­mie aus­ge­wach­sen hat, end­lich etwas tun.


Ein Gast­bei­trag von Bene­dikt Schwan (Teil 1 von 3)



Dia­gno­se männ­li­che Unfrucht­bar­keit


Unfruchtbarkeit Mann

Als ich in der Küh­le die­ses Win­ter­tags auf der Stra­ße ste­he, fühlt sich alles taub an. Es ist Dezem­ber 2016 und ich habe gera­de erfah­ren, dass ich kei­ne Sper­mi­en im Eja­ku­lat habe. Dass es an mir liegt, dass mei­ne Frau seit eini­gen Jah­ren der Hoff­nung und des Pro­bie­rens nicht schwan­ger wird. Die genaue Dia­gno­se nennt sich Azoo­sper­mie, was nichts ande­res heißt als das eben gesag­te, ohne dass man mir einen Grund gibt.

Über die Ursa­chen kann man bei mir nur Ver­mu­tun­gen anstel­len. War ich schon immer ste­ril oder hat sich die Azoo­sper­mie erst ent­wi­ckelt? Nie­mand kann es mir sagen. Die nächs­ten Mona­te über kämp­fe ich und ver­su­che, mei­ne Hoden zur Arbeit zu bewe­gen. Ich neh­me ab, mache Sport und schaf­fe wie­der einen Halb­ma­ra­thon, ohne dass es mir unter­wegs die Schu­he aus­zieht. Mein Arzt ist hoch­zu­frie­den mit mir. Schließ­lich ver­ein­ba­re ich mit zitt­ri­ger Stim­me einen neu­en Ter­min im Kin­der­wunsch­zen­trum. Bit­te noch mal Sper­ma abge­ben, bit­te ein neu­es Sper­mio­gramm! Doch es hilft nichts. Das Resul­tat ist immer noch null.



Unfrucht­bar — was bedeu­tet das für mei­ne Part­ner­schaft ?


Das Schlimms­te an der Situa­ti­on ist, dass sie so furcht­bar real ist. Ich kann sie nicht schlie­ßen wie ein E‑Mail- oder Chat-Fens­ter oder an den Anruf­be­ant­wor­ter wei­ter­lei­ten wie ein uner­wünsch­tes Tele­fo­nat. Es ist mein kör­per­li­cher Zustand, mein Defekt, mei­ne Unvoll­kom­men­heit, mein Man­gel. Und beson­ders idio­tisch ist, dass ich sie jetzt erst, mit Anfang 40, erfah­re – oder bes­ser: zur Kennt­nis neh­me. Ste­ril – was bedeu­tet das für mei­ne Männ­lich­keit? Will mei­ne Frau, mit der ich zu dem Zeit­punkt über 10 Jah­re glück­lich ver­hei­ra­tet bin, über­haupt noch mit mir zusam­men­blei­ben, wenn ich nicht „lie­fern“ kann? Sie lässt mich sofort wis­sen: Sie will. Sie fängt mich auf.


»War­um haben wir eigent­lich kei­ne Kin­der, E.?«, fra­ge ich sie eines Tages ein­fach direkt. »Weil die Umstän­de so sind«, sagt sie gelas­sen. »Du bist ste­ril, und ich wer­de nicht jün­ger. Wir haben zu spät damit ange­fan­gen, an das Kin­der­krie­gen zu den­ken und uns über­haupt mit dem The­ma aus­ein­an­der­zu­set­zen.«  »Machst du einem von uns Vor­wür­fe?« Sie über­legt kurz. »Nein. Wir oder einer von uns mein­te immer, dass das nicht der rich­ti­ge Zeit­punkt wäre. Und nun ist die Situa­ti­on, wie die Situa­ti­on nun ein­mal ist. Ich weiß nicht, ob man das Erwach­sen­wer­den nen­nen kann: sich damit abzu­fin­den. Eigent­lich darf jeder Mensch mit so einer Situa­ti­on umge­hen, wie es ihm ent­spricht und wie er es braucht. Es kann sein, dass es uns auch ein­fach zu gut ging, und wir woll­ten zu lan­ge frei sein. Ohne Kin­der kann man machen, was man möch­te.«



Das Leid wird zu Erkennt­nis­rei­se


Anders als mei­ne Frau kom­me ich zum Zeit­punkt unse­res Gesprächs trotz aller Ver­su­che, mich mit der Situa­ti­on abzu­fin­den, noch immer nicht damit klar. Ich kann mir nicht vor­stel­len, nie­mals eige­ne Kin­der in den Armen zu hal­ten. Ich zwei­fe­le an Aspek­ten mei­ner Männ­lich­keit, an mei­nem Platz in der Welt, an der Fra­ge, war­um ich über­haupt exis­tie­re, wenn ich mich nicht fort­pflan­zen kann.

Ich muss mehr dar­über her­aus­fin­den. Ich bin Wis­sen­schafts­jour­na­list. Ich will die Din­ge ver­ste­hen, erklär­bar machen. Wie vie­le Män­ner sind eigent­lich betrof­fen? Wie kommt es, dass ich so wenig vor­be­rei­tet dar­auf war? Aber vor allem: Wel­che Mög­lich­kei­ten habe ich, viel­leicht doch noch Vater zu wer­den? Ich suche Ant­wor­ten. Ich buche Tickets für Orte, von denen ich mir Ant­wor­ten erhof­fe: nach Nor­we­gen, Kana­da, in die USA, nach Japan und Isra­el.

Und was ich her­aus­fin­de, erschrickt und trös­tet mich. Ich spre­che mit füh­ren­den Reproduktionsmediziner/innen, mit ande­ren Betrof­fe­nen, mit einem Mann, der hin­ge­gen über 150 Kin­der hat. Die­se Recher­che­rei­se wird eine höchst­per­sön­li­che…

Fort­set­zung folgt im zwei­ten Teil des Gast­bei­trags.


Männliche Unfruchtbarkeit


Ein Buch über das Leben mit männ­li­cher Unfrucht­bar­keit


Immer mehr Män­ner kön­nen kei­ne Kin­der zeu­gen, doch kaum einer spricht dar­über. Der Jour­na­list Bene­dikt Schwan ist 41, als er fest­stellt, dass er unfrucht­bar ist. Mit unge­wöhn­lich gro­ßer Offen­heit schil­dert er, was der uner­füll­te Kin­der­wunsch für ihn, sei­ne Männ­lich­keit und sei­ne Bezie­hung bedeu­tet. Die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Dia­gno­se Unfrucht­bar­keit bringt Schwan an sei­ne emo­tio­na­len Gren­zen.




Über den Autor — Bene­dikt Schwan


Bene­dikt Schwan, Jahr­gang 1975, schreibt als Jour­na­list seit über 20 Jah­ren über Tech­no­lo­gie, Wis­sen­schaft, For­schung und Medi­en. Sei­ne Tex­te sind u.a. in »Zeit Online«, »Focus«, »Die Welt« und »Spie­gel Online« erschie­nen.

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Bild­quel­len:
Titel­bild: Bene­dikt Schwan
Sad man © Can­va



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