Endlich wird über den Kinderwunsch gesprochen — Erster Think Tank Fertility in Berlin
Der erste Think Tank Fertility fand Ende November in Berlin statt. Verschiedenste Vertreter aus dem Bereich „Kinderwunsch und Fruchtbarkeit“ kamen zu diesem Treffen: Mediziner, Verbände, Unternehmen, Politik und Betroffene.
Alle hatten dabei ein gemeinsames Ziel — die Themen Fruchtbarkeit und Kinderwunsch allgemein bekannter und zugänglicher machen. Neben Aufklärung und Entstigmatisierung sollten aber auch politische Aspekte, wie gesetzliche Rahmenbedingungen und Kostenübernahme, diskutiert werden.
Warum wurde der Think Tank Fertility ins Leben gerufen ?
Rund jedes 7. Paar ist ungewollt kinderlos. Das ist eine Menge – und doch wird kaum darüber gesprochen. Die meisten Menschen machen die Sorgen und Nöte unter sich aus. Zudem fehlt es häufig an Wissen rund um das Thema Fruchtbarkeit, die damit verbundenen Probleme und Behandlungsmöglichkeiten.
Dies war vor einigen Jahren der Anlass das Online-Magazin „Wegweiser Kinderwunsch“ zu gründen. Seitdem hat sich einiges zum Positiven verändert. Aber noch allzu häufig sind die Themen „Kinderwunsch und Fruchtbarkeit“ ein großes Tabu in unserer Gesellschaft.
Unter diesen Voraussetzungen wurde auch der erste „Think Tank Fertility“ ins Leben gerufen. Eingeladen hatte das Unternehmen fertilly aus Berlin.
Ziele des Fertility Think Tank
Die Auftaktveranstaltung des „Fertility Think Tank“ in Berlin stand unter dem Motto “Making Fertility Accessible”. Das heißt, wie kann man die Themen Fruchtbarkeit und Kinderwunsch allgemein bekannter und zugänglicher machen.
Beim Thema unerfüllter Kinderwunsch spielen unterschiedliche Aspekte eine Rolle:
- Aufklärung und Entstigmatisierung:
Noch immer gehören „unerfüllter Kinderwunsch und Fruchtbarkeit“ zu den Tabuthemen unserer Gesellschaft. Es wird ungern oder gar nicht darüber gesprochen. Dies sollte sich ändern ! - Politik und gesetzliche Regelungen:
Es gibt viele Themen die kontrovers diskutiert werden. Angefangen bei der Kostenübernahme von Kinderwunschbehandlungen über die Eizellspende und Legalität von Präimplanationsdiagnostik bis hin zur Behandlung von gleichgeschlechtlichen Paaren.
Das besondere an der Veranstaltung:
Erstmalig kommen Vertreter aus allen Bereichen von “Kinderwunsch und Fruchtbarkeit” zusammen, um an einem Strang zu ziehen. Auch die Herausgeberin des Online-Magazins „Wegweiser Kinderwunsch“ war eingeladen, um die Sichtweise der Kinderwunsch-Community zu vertreten.
Inhalte des ersten Fertility Think Tank
Louise Brown – das erste IVF Baby
Louise Brown kam ziemlich genau vor 40 Jahren, als erstes IVF Baby auf die Welt. Ihr Vortrag war ein gelungener Einstieg in das Thema des Abends.
Mit ihrer eigenen Lebensgeschichte und ihrem Engagement möchte sie weltweit über Fruchtbarkeitsstörungen und künstliche Befruchtung aufklären. Sie motiviert Paare dazu, medizinische Hilfe zu suchen und die Zukunftsplanung bei ungewollter Kinderlosigkeit nicht aufzugeben.
Podiumsdiskussion und Austausch
Im Anschluss an den Vortrag von Louise Brown startete die Podiumsdiskussion mit wichtigen Inhalten:
- Noch immer gehören „unerfüllter Kinderwunsch und Fruchtbarkeit“ zu den Tabuthemen unserer Gesellschaft. Es wird ungern oder gar nicht darüber gesprochen. Was können wir tun, um das Thema zu Entstigmatisieren?
- Wie können ungewollt kinderlose Paare besser über Fruchtbarkeitsprobleme und Möglichkeiten der Kinderwunschbehandlung aufgeklärt werden?
- Welche Kosten übernehmen die Krankenkassen?
Die Medizin ermöglicht vielen ungewollt kinderlosen Paaren die Erfüllung des Kinderwunsches. Aber die Kosten einer reproduktionsmedizinischen Behandlung sind für viele Betroffene sehr hoch. Das deutsche Gesundheitssystem erstattet die Kosten nur anteilig. Im aktuellen Koalitionsvertrag ist eine deutliche Ausweitung der Kostenübernahme sowie eine bundesweit einheitliche Regelung festgehalten. Zudem sollten Kinderwunschbehandlungen diskriminierungsfrei werden.
Teilnehmer der Podiumsdiskussion:
Die Inhalte der Podiumsdiskussion sollen künftig in Arbeitsgruppen vertieft und weiter entwickelt werden. Ein erster persönlicher Gedankenaustausch fand bereits nach der Podiumsdiskussion statt.
Zitate aus der Fertility Think Tank Podiumsdiskussion
„Die gesamte Aufklärung im Schulunterricht ist darauf ausgelegt, zu verhüten. Man bekommt den Eindruck vermittelt, dass man bei der kleinsten Unachtsamkeit direkt schwanger wird. Dass dies später einmal nicht klappen könnte und viele Paare und Personen jahrelang dafür kämpfen müssen, kommt nicht zur Sprache. In Deutschland und Westeuropa ist eines von sechs Paaren von Unfruchtbarkeit betroffen, was alles andere als ein ‚Nischenproblem‘ ist.“
Christoph Müller-Guntrum (Fertilly GmbH)
Ich würde mir schon wünschen, dass diese Regierung den Koalitionsvertrag umsetzt und ein Fortpflanzungsmedizingesetz auf den Weg bringt, in dem die Eizellspende in Deutschland legalisiert wird, wie es in allen anderen Ländern auch der Fall ist.
Dr. Andreas Tandler-Schneider (Vorstand deutsches IVF Register)
„Wie bekommen wir die Paare oder jeden einzelnen dazu, sich möglichst früh mit dem Thema Fruchtbarkeit auseinanderzusetzen? Fruchtbarkeit ist endlich und viele junge Paare sehen das Kinderkriegen häufig als zu romantisiert und als etwas, das von allein kommt.“
Matthias Wernicke (Merck Healthcare Germany)
„Ich wünsche mir, dass jedes Paar oder Person, die einen Kinderwunsch hat, den auch erfüllt bekommt, unabhängig von allen gesetzlichen und politischen Vorgaben.“ „Ich darf meiner Schwester eine Niere spenden, aber keine Eizellen. Das ist doch absurd!“
Dr. Sarah Plack (Ärztin, Initiatorin der Petition #kiwufüralle)
„In unserem Alltag kommen lesbische Paare in unsere Rechtsberatung, die einen Kinderwunsch hatten, aber aufgrund der Kosten eine private Samenspende vorgezogen haben. Da ist nichts Schlechtes dran. Aber das sieht im Alltag häufig so aus, dass man sich mit einem Fremden auf einem Rastplatz trifft und einen Becher mit Samen überreicht bekommt. Das kann niemand so wollen, das ist rechtlich völlig unreguliert. Diese Problematik muss von der Politik angegangen werden, so dass ein Kinderwunsch in jeder Konstellation sicher möglich ist.“
Dr. Stefanie Lünsmann-Schmidt (Vorstand Lesben- und Schwulenverband)
Ich hoffe, dass alle irgendwann auf die Frage „Wie habt ihr euer Kind bekommen?“ entspannt antworten können: ‚Ganz klassisch — mit IVF!‘“
Dr. Petra Thorn (Vorsitzende Kinderwunsch Deutschland e.V.)
„Bei Familienbildung mit Hilfe dritter ist die psychosoziale Beratung im Vorfeld wichtig, damit sich die Wunscheltern mit den neuen Familienkonzepten auseinandersetzen und ihren Weg finden.“
Dr. Petra Thorn (Vorsitzende Kinderwunsch Deutschland e.V.)
„Das Verbot der Eizellspende ist nicht mehr zeitgemäß. Mit Blick auf das Ausland, mit Blick auf die Medizin führt kein Weg an der Legalisierung der Eizellspende vorbei.“
„Ich bin froh, dass wir in der Koalition erreichen konnten, dass künftig wohnortunabhängig und diskriminierungsfrei 25 Prozent der Kosten für Kinderwunschbehandlungen übernommen werden können.“
Katrin Helling-Plahr (FDP-Bundestagsabgeordnete)
„Ich bin in der privilegierten Situation, finanziell auch mehrere Zyklen durchführen zu können. Das ist vielen Menschen nicht vergönnt. Hinzu kommt noch die wahnsinnige emotionale Belastung während einer Behandlung und grundsätzlich musst du dich als Frau ständig rechtfertigen, warum du keine Kinder willst bzw. noch keine Kinder hast.“
Anna Adamyan (Autorin, Initiatorin der Petition #kiwufüralle)
Fazit zum Fertility Think Tank
Die Auftaktveranstaltung des Fertility Think Tank unter der Leitung von fertilly war ein Meilenstein für Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch. Vertreter aus allen “Fertility Bereichen” kamen zusammen: Mediziner, Verbände, Unternehmen, Politik, Betroffene, etc.
Der Abend hat spürbar gemacht, was möglich ist, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Gemeinsam werden wir künftig viel bewegen können.
Mit “Wegweiser Kinderwunsch” freue ich mich die Interessen der Kinderwunsch-Community bei künftigen Treffen und Arbeitskreisen zu vertreten.
Danke an das Unternehmen fertilly für die Organisation dieses wichtigen Events.
Eindrücke vom Fertility Think Tank
Fotos: Wegweiser Kinderwunsch und fertilly
Ich bin Claudia. Kinderwunsch-Bloggerin mit über 10 Jahren eigener Kinderwunsch-Erfahrung: Endometriose-Fighterin, IVF-Kennerin, ICSI-Schwester, Pimp my Eggs Befürworterin und Initiatorin der Kinderwunsch-Bewegung #1von7
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