Helge will Vater werden. Aber was, wenn es nicht klappt?!
In der Reihe Kinderwunsch Unplugged führt Wegweiser Kinderwunsch Interviews mit Frauen und Männern, die vom unerfüllten Kinderwunsch betroffen sind. Hier hier werden Themen angesprochen, die meistens tabu sind. Du bist auf deinem Kinderwunsch-Weg mit allen seinen Sorgen, Ängsten und Nöten nicht alleine.
Heute im Interview: Helge, Blog-Autor
Helge schreibt in seinem Blog nicht nur sehr unterhaltsam und emotional darüber, dass er gerne Vater werden möchte. Sein Blog ist darüberhinaus auch äußerst sehenswert.
Aber was, wenn es nicht klappt mit dem Vaterwunsch…?!?! Kinderwunsch ist doch nur bei Frauen ein Thema. Diesen Eindruck könnte man jedenfalls gewinnen, wenn man sich die Beiträge im Internet anschaut. Doch Helge ist sich sicher, dass es auch viele Männer mit großen Fragezeichen beim eigenen Kinderwunsch gibt, insbesondere, wenn dieser nicht in Erfüllung gehen möchte.
Ein beeindruckendes Interview mit einem tollen Blogger!!!!
Wegweiser Kinderwunsch:
Wer bist Du? Erzähle uns ein wenig über dich selbst.
Helge:
Ek bün een nordischen Keerl met Baart. Meine freie Zeit verbringe ich gerne in der steifen Brise auf der dänischen Insel Rømø, wo ich das Board und den Kite auspacken und mich den Gewalten der Natur stellen kann. Da fühle ich mich wie ein echter Strandpirat. Harr, harr, harr und eine Buddel voll Rum…
In der anderen Zeit lebe ich meine Leidenschaft im Eventmarketing einer norddeutschen Stadt aus und fröne meiner Kaffeesucht.
Vielleicht habe ich das Organisationstalent, das ich im Beruf benötige, meiner komplexen Familienstruktur zu verdanken. Ich stamme nämlich aus einer wilden Patchwork-Familie, in der ich als Blutsbindeglied zwischen meinen sechs Halbgeschwistern die Fäden zusammenhalte.
Wegweiser Kinderwunsch:
Was hast Du auf Deinem Kinderwunsch-Weg alles erlebt?
Helge:
Begonnen hat alles im Jahr 2005, als ich meine jetzige Frau Rieke getroffen habe. Zu dem Zeitpunkt war ich noch in der Ausbildung, aber die Gewissheit, dass ich mit ihr gemeinsame Kinder haben möchte, war da bereits spürbar.
Nach meinem erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben 2010, machten wir dann ernst. Wir legten die Kondome beiseite und Rieke ließ sich sicherheitshalber noch mal untersuchen. Da mussten wir aber schon feststellen, es wohl nicht ganz einfach wird. Einer ihrer Eileiter war scheinbar verschlossen und mit Wasser gefüllt, doch die Frauenärztin meinte eine Schwangerschaft wäre nicht ausgeschlossen. In den folgenden Jahren blieb der Schwangerschaftstest aber negativ.
Nun reifte auch in mir die Erkenntnis, dass mein Lebensentwurf wohl nicht so einfach in Erfüllung gehen wird. Wir ließen uns in der Kinderwunsch Klinik beraten und der Arzt ließ keinen Zweifel dran: Wenn die Eileiter verschlossen sind, müssen sie entfernt werden. Eine harte Diagnose. Ohne Eileiter wären wir immer wenn wir uns ein Kind wünschen auf die Klinik angewiesen.
Soweit war Rieke, auch psychisch, noch nicht und wir lehnten eine weitere klinische Unterstützung vorerst ab. Stattdessen begaben wir uns in heilpraktische Behandlung. Gut zwei Jahre lang.
Abgesehen von den ursprünglich verklebten Eileitern waren unsere Voraussetzungen immer schon ganz gut, denn wir waren weder übergewichtig noch zu alt.
Wir hatten (wichtig!) Sex, täglich haben wir die Temperatur bestimmt, den Zyklus getrackt, abgenommen, Sport getrieben, mehrere Kuren durchlaufen, die Gluten freie (bäh) und vegane Ernährung kennengelernt, Alkohol und Zigaretten gemieden, Kügelchen und Globuli geschluckt und ich habe meinen Job gewechselt, um den Stresslevel zu reduzieren.
Mit Erfolg! Rieke wurde schwanger — auf natürlichem Weg. Leider reichte es, wie ich nun weiß, nur zu einer biochemischen Schwangerschaft. Ein emotionaler Absturz mit hartem Aufschlag folgte.
Unsere Geduld war am Ende und wir entschieden uns für die klinische Kinderwunschbehandlung. Also erstmal Bauchspiegelung und Eileiter raus, so dachten wir. Doch nach der Operation überraschte uns der Arzt mit einer freudigen Nachricht. Er konnte die Verklebungen der Eileiter lösen. Eine Durchlässigkeit war gegeben, auch wenn die Funktionstüchtigkeit der Eileiter damit nicht sichergestellt ist. Die Wassereinlagerung stammte von einer Zyste. Wir waren zuerst so verdattert, dass wir uns gar nicht freuen konnten, doch heute sind wir ihm sehr dankbar.
Denn nach einer gefühlten Ewigkeit kam es zu einer weiteren Schwangerschaft – allerdings ohne medizinische Hilfe — in einer Behandlungspause nach der zweiten IUI. Der Verlauf war der ersten Schwangerschaft sehr ähnlich, es war wieder März und in der 7. Woche mussten wir unser Baby erneut ziehen lassen. Eine Erfahrung, die mir völlig den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Ich brauchte Monate, um mich wieder zu fangen.
Wir haben dann später zwei weitere IUIs und eine ICSI durchlaufen. Und, siehe da, Rieke ist wieder schwanger. Wieder ist März, wieder im so genannten Spontanzyklus und das direkt nach der erfolglosen ICSI. Noch ist alles ganz frisch, wir sind gerade erst in der sechsten Schwangerschaftswoche und der Ultraschalltermin liegt noch vor uns. Eine gewisse Aufregung kann ich also derzeit nicht verhehlen.
Wegweiser Kinderwunsch:
Was hat dich dazu bewegt, deine Erfahrungen als Blog auf vaterwunsch.de zu veröffentlichen?
Helge:
Ein Blog ist schon eine aufwendige, vor allem aber in diesen Zusammenhang intime Sache. In unseren Gesprächen sinnierten wir immer wieder darüber, wann nochmal welches Ereignis in unserer Kinderwunschbehandlung und den Schwangerschaften war, so dass ich begann meine Gefühle und Fakten in mein Tablet zu schreiben. Nur um den Überblick zu behalten.
Langsam wuchs in mir aber der Wissensdurst. Ich wollte wissen, was während einer Schwangerschaft abläuft und wie andere Paare mit der Trauer einer Fehlgeburt umgehen. Das Netz war voll davon. Voll mit Schilderungen von Frauen. Männer konnte ich (erst) überhaupt nicht finden.
Da war ich nur noch einen Tab davon entfernt meine eigenen Erlebnisse der Welt mitzuteilen. Aufgeschrieben hatte ich sie ja schon. Kurzerhand setzte ich einen Blog auf und schrieb meine Geschichte als ein persönliches Tagebuch auf. Alle Beiträge wurden auf die tatsächlichen Zeiten rückdatiert und fertig.
Meine Frau wusste damals noch nichts davon und so war es mir lieber den ganzen Blog unter einem Pseudonym zu schreiben. Dabei ist es bis heute geblieben, auch wenn sie mittlerweile dahintergekommen ist, womit ich seit über einem Jahr meine Freizeit verbringe. Ich habe sie sogar als Lektorin gewinnen können.
Das Schreiben hat für mich einen therapeutischen Nutzen und hilft mir bei der Verarbeitung, erst später kam dann die Motivation hinzu, anderen (Männern) zeigen zu wollen, sie sind nicht alleine.
Wegweiser Kinderwunsch:
Was sind für dich die größten Herausforderungen und Probleme in Bezug auf den unerfüllten Kinderwunsch?
Helge:
Oft bin ich darüber verwundert, dass viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch sehr ähnliche Phasen durchlaufen. Eines der größten Probleme ist aber dennoch, das Gefühl allein dazustehen. Egal wem man sich anvertraut, ein wirkliches Verständnis scheint selten aufzukommen, was auch nicht verwunderlich ist, wenn der Gegenüber mit dem Thema keine Erfahrung hat. Es liegt ja auch immer eine gewisse Gefahr darin, den akuten Kinderwunsch öffentlich zu machen – insbesondere dem Arbeitgeber oder Kollegen/innen gegenüber.
Eine Herausforderung ist für mich die Vielzahl der Termine in der Kinderwunschklinik. In der Regel müssen diese spontan und kurzfristig in der eigentlichen Arbeitszeit absolviert werden. Sie fordern viel Verständnis und Rücksichtnahme – vom Arbeitgeber, von Kollegen/innen und dem eigenen Anspruch an die Arbeitshaltung.
Wegweiser Kinderwunsch:
Gab es für dich einen persönlichen Tiefpunkt und wie hast du ihn überwunden?
Helge:
Zu meinem persönlichen Tiefpunkt zählt zweifelsfrei die zweite Fehlgeburt. Noch einen Tag vorher haben wir darüber gesprochen, dass wir die Enttäuschung, sollte es wieder zu einer kommen, ja bereits kennen und sie nicht fürchten müssen. Pustekuchen.
Ich habe zwischen der ersten und zweiten Schwangerschaft sehr an meinen Gefühlen gearbeitet und gelernt, diese zuzulassen. Daher hat es mich voll erwischt und meilenweit aus der Bahn geworfen. Der Nachteil meiner Nähe zu meinen Gefühlen war aber auch der Vorteil. Es hat zwar einige Zeit gedauert, doch heute bin ich mir sicher, gestärkt aus der Phase hervorgegangen zu sein und die Trauer verarbeitet zu haben. Im Rückblick bin ich sogar froh alles gespürt und miterlebt zu haben. Ich möchte keine unserer Schwangerschaften missen, denn sie waren trotz der anschließenden Trauer sehr glückliche Momente in meinem Leben.
Unser eigentliches Rezept ist aber das Gespräch. Wir nehmen uns sehr viel Zeit für die Beziehung und reden ausgiebig über unsere Gedanken und Gefühle. Natürlich hat auch mein Blog eine therapeutische Funktion, denn ich muss mir jede Situation wieder bewusst machen und möglichst strukturiert niederschreiben.
Wegweiser Kinderwunsch:
Was gibt dir sonst noch Kraft und Mut auf deinem Weg?
Helge:
Es ist eine sehr heilsame Erfahrung, wenn man die Vielzahl an Betroffenen sieht und sich denken kann, ich bin nicht alleine. Der Austausch (vorwiegend auf Twitter) ist für mich ziemlich wichtig geworden.
Ein weiterer Quell der Kraft ist für Rieke und mich die Natur. Wir fahren nahezu an jedem freien Wochenende ans Meer, nach Dänemark oder ins Grüne.
Unser Bulli ist stets gepackt mit allen Dingen, die wir zum Leben brauchen. Wir können jederzeit spontan losfahren, nur die Zahnbürste müssen wir noch mitnehmen. Der frische Wind, die Natur und die große Freiheit hat uns schon so manches Mal Kraft gegeben, die weitere Behandlung zu überstehen.
Außerdem unsere Patenkinder! Ein Vorteil, wenn der unerfüllte Kinderwunsch im Freundeskreis bekannt ist. Man hat sicher mehr Patenkinder als gewöhnlich. Dank unserer lieben Freunde können wir ganz eng die kleinen Menschen durch das Leben begleiten und somit teilhaben an einer Form des Familienlebens.
Ein wichtiger Punkt ist aber auch die Klarheit über das, was wir nicht wollen. Wann für uns Schluss sein wird, wo unsere Grenzen liegen.
Wegweiser Kinderwunsch:
Wie offen gehst Du mit dem unerfüllten Kinderwunsch um?
Helge:
Offenheit im Kinderwunsch ist eine wichtige Entscheidung. Es gibt gute Gründe das Thema geheim zu halten, wir haben uns aber für die Offenheit entschieden. Unsere Familie, viele Freunde und sogar mein Arbeitgeber wissen um unsere Situation. Es erleichtert einiges, wenn man sich nicht verstellen und verstecken braucht. Eines haben wir aber auch lernen müssen. Es gibt nicht viele Menschen, die mit dem Thema umgehen können. Uns geht es nicht um Mitleid, sondern um Verständnis. Einige unserer Freunde scheinen Angst zu haben, mit uns über den Kinderwunsch zu sprechen, da sie fürchten unsere Gefühle zu verletzen und sich dabei hilflos fühlen. Das Thema auszuklammern bedeutet aber auch, uns nicht ganz so zu nehmen, wie wir sind. Das kann verletzten.
Wegweiser Kinderwunsch:
Wurdest Du in Bezug auf den Kinderwunsch mit unsensiblen Fragen oder gut gemeinten Ratschlägen konfrontiert? Kannst Du uns ein Beispiel nennen und sagen, wie du damit umgegangen bist.
Helge:
Oh ja, da bekommt man wirklich so einiges zu hören. Ich habe diesem Thema gerade erst einen Blogartikel gewidmet: www.vaterwunsch.de/ratschlaege-sind-auch-schlaege/
Wegweiser Kinderwunsch:
Möchtest Du den Lesern sonst noch etwas mit auf den Weg geben?
Helge:
Ich kann und möchte nur teilen, was uns gut getan hat, denn ich denke, ganz wichtig ist es seinen eigenen Weg zu gehen, den persönlichen Umgang mit seinem unerfüllten Kinderwunsch zu finden und ihn gegen alle gut gemeinten Ratschläge zu verteidigen.
Wir haben uns Wegmarken und Grenzen gesetzt, sowie einen kinderfreien Plan B ersonnen. Das gibt uns Halt und einen Rahmen, denn gerade im Bereich Kinderwunsch und dessen Behandlung sind die Möglichkeiten scheinbar unerschöpflich, nicht aber unsere Kraft und Energie. Uns beruhigt zu wissen, wann Schluss ist, auch mit der psychischen Belastung.
Ich tue viel was mir gut tut und mich fröhlich sein lässt, besonders wenn wir mal wieder eine Niederlage hinnehmen mussten. Klar ist es auch wichtig zu trauern, aber ich möchte nicht darin versinken und meine Lebensfreude einbüßen.
Mir hilft es mit meiner Frau im Gespräch zu bleiben. Wir erleben immer wieder, wie schnell sich unsere Stimmung, unser Blickpunkt mit neuen Erlebnissen verändert und entwickelt. Damit wir uns als Paar bei dem ganzen Tumult nicht verlieren, ist das Gespräch unser rettender Anker.
Wegweiser Kinderwunsch:
Vielen Dank Helge für dieses bemerkenswerte Interview. Du hast auf deinem Weg bereits einige Tiefschläge wegstecken müssen. Umso mehr sind jetzt alle Daumen gedrückt!!
Dein Blog, dein Interview und deine Gedanken sind nicht nur für Männer mit Kinderwunsch äußerst lesenswert. Wie ihr als Paar die Situation gemeinsam meistert und euch immer wieder Ziele auf diesem steinigen Weg setzt, kann für viele Kinderwunsch-Paare eine Anregung sein. Dass du nicht in Trauer versinkst und deine Lebensfreude erhalten bleibt, ist in jedem deiner Sätze spürbar. Danke im Namen aller Leser dafür!
Ich bin Claudia. Kinderwunsch-Bloggerin mit über 10 Jahren eigener Kinderwunsch-Erfahrung: Endometriose-Fighterin, IVF-Kennerin, ICSI-Schwester, Pimp my Eggs Befürworterin und Initiatorin der Kinderwunsch-Bewegung #1von7
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